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Hauptsache die Bluse sitzt - Antonia Rados' Reportage "Mein Bagdad"
Antonia Rados mit dem 10-jährigen Schuhputzer Hassan in Bagdad. Bild: Copyrights by RTL®

Antonia Rados und ihr Bagdad. 100 Tage nach dem Krieg hat sie den Zuschauern in Deutschland "ihr unruhiges Bagdad" gezeigt. Für die Mitte Juli ausgestrahlte Reportage "Mein Bagdad - 100 Tage nach dem Krieg!" war Antonia Rados, liebevoll die "Reporterin mit dem Löwenherz" genannt, nach Bagdad zurückgekehrt.

Antonia Rados läuft durch Bagdad. Trifft Hassan wieder, einen 10-jährigen Schuhputzjungen, der sie während der Zeit in Bagdad begleitet hatte. Stürmisch umarmt er die Reporterin in ihrer "blütenweißen Bluse" (wie Reinhard Mohr in Spiegel online bemerkte). Und inmitten des zerstörten Zentrums von Bagdad wird das Kleidungsstück zum zynischen Markenzeichen einer Reporterin. Ihr Image hat sie gut verinnerlicht. Bei einem kurzen RTL-Interview vor der Ausstrahlung der Reportage spielt sie mit der Kamera. Sie spricht und blickt noch heute taff, beinahe ernst in die Kamera, als sei es ein Schaltgespräch aus dem Krisengebiet und kein lockeres Interview. "Vielleicht ist gerade in diesem Moment in deutschen Fernsehstudios der Krieg ausgebrochen", mag sich der geneigte Zuschauer an dieser Stelle fragen.

Antonia Rados serviert den Zuschauern in den folgenden 45 Minuten einen Melting Pot aus alten Kriegsbildern, neuen Interviews, unveröffentlichten, persönliche Erinnerungen und Bekanntschaften aus Bagdad – sowie Auszüge aus dem Reporterleben. Jeder Aspekt für sich hätte ein rundes Bild vermitteln können, dieses Gemisch vermag es leider nicht. Zu willkürlich sind die Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zu ähnlich die Bilder. Und zu häufig steht Antonia Rados vor der Kamera – in einer Reportage, die "Mein Bagdad" heißt.

Antonia Rados wärmt inzwischen bekannte Tatsachen auf: Journalistische Ausflüge waren nur mit Erlaubnis möglich; die Aufpasser vom irakischen Informationsministerium bespitzelten die fremden Reporter; Kranke und ihr Schicksal durften stundenlang gefilmt werden. Stimmungen aus dem heutigen Bagdad geraten in den Hintergrund: Nur kurz kommen arbeitslose Irakis zu Wort. Aber wie leben sie heute? Der Zuschauer sieht ein Zeltdorf von Palestinensern. Sie wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Warum spricht Antonia Rados nicht mit ihnen? Stattdessen besucht sie den Schuhputzjungen oder den Jungen Ali, der im Krieg beide Arme verlor und schwere Brandverletzungen erlitt. Seine Ärzte formten ihn damals zum Medienereignis und erkämpften mit der Kraft der Medien eine Verlegung in ein Krankenhaus in Kuweit.

Antonia Rados wirft mehr neue Fragen auf, als sie in der Reportage beantwortet hat. Der Jingle vor der letzten Werbepause geht sogar noch weiter, fragt: "Der Lügenminister. Was macht er heute? Und: Warum er jetzt ganz anders aussieht. Jetzt bei RTL." Ein guter Cliff-Hanger, wenn er nur eindeutig beantwortet würde.

(fan), 19.07.2003

Linktipp:
Reinhard Mohr: "Der Star ist die Story" - In: Spiegel online, 15.07.2003. (Stand: 19.07.2003)