Der Blick auf die Medien
medienspiegel
schlagzeilen
hintergrund
extra
meinung

lesen

anschauen

hören

anklicken
archiv
gästebuch
intern
impressum
kontakt
© medienspiegel
Verleger dürfen und sollen sich Objekte leisten, die kein Geld bringen - Ein Interview mit Wolf Schneider

Herr Schneider, muss ein guter Verleger zuerst Journalist oder zuerst Geschäftsmann sein?

Wolf Schneider: Die Frage lässt sich so nicht beantworten, denn ein guter Verleger zeichnet sich dadurch aus, dass er beide Eigenschaften hat, in vernünftiger Harmonie zueinander.

Heute übernehmen mehr und mehr Betriebswirte die Entscheidungsgewalt in den großen Medienkonzernen. Liegt darin eine Gefahr für den Journalismus?

Wolf Schneider: Ja. Denn Betriebswirte haben nicht die Freiheit, die ein Verleger hat. Ich habe hohen Respekt davor, dass Gerd Bucerius über 30 Jahre lang die "Zeit" mit den Einnahmen aus dem "Stern" subventioniert hat. Und ich habe hohen Respekt vor dem Hause Springer, das seit mehr als 50 Jahren die "Welt" durchfüttert. Das hat das Haus schon mehr als eine Milliarde Euro gekostet. Eigentlich finde ich, milliardenschwere Verleger sind dazu da, lieber nicht die zweite Milliarde einzuheimsen, sondern erst mal eine anständige Zeitung zu machen, ob sie Geld bringt oder nicht.

Andererseits ist es ja legitim, wenn ein Unternehmer Gewinne machen will - Geld verdienen ist nicht verboten.

Wolf Schneider:
Nein, nur meine ich, wenn ein Verleger sich die erste Milliarde als Notgroschen beiseite legt, könnte er doch vielleicht auf den Gedanken kommen: Von dem Rest finanziere ich etwas, was mir kein Geld bringt. Ja, so dürfen Verleger sein: Sie dürfen und sollen sich Objekte leisten, die kein Geld bringen.

Das Problem dabei ist ja, dass der klassische Verleger-Inhaber immer mehr verschwindet und die Medienunternehmen zu Aktiengesellschaften werden, die dann natürlich auf die Aktionäre und den Kurs schauen.

Wolf Schneider: Das ist eine schlimme Entwicklung. Ich füttere ein Blatt jahrzehntelang durch, weil es mir am Herzen liegt - diese Entscheidung kann nur ein Verleger fällen, kein Management, das am Shareholder Value orientiert ist. Ich bin für Verleger-Persönlichkeiten, selbst wenn sie so viele Schattenseiten haben wie Axel Springer sie hatte.

Zeitung machen zwischen journalistischem Ethos und Shareholder Value - nach welcher Seite wird das Pendel ausschlagen?


Wolf Schneider: Die Entwicklung sieht nicht gut aus. Die Betriebswirte und der Shareholder Value werden an Macht gewinnen. Insofern ist es eine Gelegenheit, den großen Verlegern nachzutrauern, die die Macht hatten, auch mal vom Gewinn abzusehen.

Kein Platz mehr für journalistisches Ethos?

Wolf Schneider: Das ist mir ein zu großes Wort. Ich weiß nicht, inwieweit Verleger es haben sollten. Man soll eine gute Zeitung machen - mit reinem Gewissen, großem Sachverstand und großer Weltkenntnis. Andererseits ist der Journalismus auf lange Sicht natürlich ein Zukunftsberuf - die Leute, die noch sortieren können, die die Nachrichten filtern und ihren Lesern das mitteilen, was sie wirklich interessiert und was sie angeht, diese Leute werden immer mehr gefragt, je mehr Schrott und Unfug aus dem Internet auf die Menschen herunterprasselt. Aber ob man dann als Journalist noch den Verleger findet, der einem dazu die Freiheit lässt, das ist eine offene Frage. Insgesamt bin ich nicht sehr optimistisch.

28.06.2003
Quelle: Ein Interview von Hubertus Straßer. In: arte TV MAGAZIN Juli 2003

Wolf Schneider ist ehemaliger Chefredakteur der "Welt", einstiger Verlagsleiter des "Stern" und langjähriger Leiter der Henri-Nannen-Journalisten-Schule. Geboren 1925, arbeitet er seit mehr als 50 Jahren als Journalist und Autor zahlreicher Sachbücher. 1994 verlieh die Gesellschaft für Deutsche Sprache Schneider den "Medienpreis für Sprachkultur".